Die Sybille

oder
Parasepiden

Teil 8

Eine Bürstenhaarschnittfrau verbeugt sich leicht in Richtung der Sybille. Sie nimmt die schwarzen Handschuhe ab und legt sie bedächtig auf den Wagen neben die Horrorwerkzeuge. Sie streift sich chirurgische Handschuhe über und hat dann eine kleine, zangenartige Gerätschaft, während sie schon mit der anderen Hand einen Gegenstand aus Metall aufnimmt, der aussieht wie eine stählerne Bürste.

Sie hat durchsichtig graue Augen, und sie schaut mir direkt in meine, während die Handschuhe sich kurz, tastend um meinen Schwanz legen, ein geübter, gekonnter Griff, wie zur Anprobe.

Für so einen Winzling zahlt sich der Aufwand kaum aus. Kichern und Kreischen.

Ich blicke nur kurz weg, hin zur Sybille, und suche dann wieder den Blick des Bürstenhaarschnitts. Ein winziger Teil in mir hofft, in ihr ein Mitleid zu wecken, während die Zange meinen Schwanz an der Vorhaut packt und von meinem Bauch weg zieht, sodaß ich zu kreischen beginne. Dann berührt diese Bürste die empfindsamste Stelle meines Körpers. Als wäre das ein Kleidungsstück, ein Ledermantel, ein Pferdefell, schrubbt sie mit dieser Bürste an der Ober- und Unterseite meines Schwanzes herum, und es ist, als müsse ich nun durch meine Schwanzhaut verbluten. Meine Augen groß wie im ungläubigen Staunen, meine Stimme ein Krächzen, was um alles in der Welt wollt ihr denn von mir? Ich habe euch doch gar nichts getan! Das ist schwere Körperverletzung, oder etwa nicht?

Alles das bringe ich naturgemäß nicht heraus.

Sie glaubt ich will etwas sagen.

Soll ich doch.

Da die richtige Temperatur und Erregung unter den gegebenen Umständen nicht zu erreichen ist, müssen die Parasepiden über kleine Wunden der Haut zugeführt werden. Das macht die Operation etwas weniger verträglich, weshalb der Proband durch die Anwendung geeigneter Maßnahmen zu fixieren ist.

Mir ist egal, wie sie über mich reden, als wäre ich nicht anwesend. Mir ist egal, was sie vorhaben. Ich will, daß es aufhört. Ich will in mein Bett. Ich will ein Schmerzmittel.

Instinktiv versuche ich nach unten zu schauen.

Nein nein nein.

Die Bürstenhaarschnittfrau schlendert gemächlich zu dem Wagen und öffnet eine weiße, runde Plastikdose. Die Substanz darin ist weißlich und schleimig und sieht fast aus wie Samen. Mit einem leicht angewiderten Blick senkt die Bürstenhaarschnittfrau die rechte Hand mit dem Chirurgenhandschuh in die Dose, greift einen Teil des Schleims und nähert sich. Ich beginne zu strampeln, ich höre mich selbst nach aussichtsloser Hilfe schreien, nach Gnade und schwerer Rache, sogar nach der Polizei. Kurz hält die Frau mir die Hand mit dem Handschuh vor das Gesicht. Auf dem Handschuh scheint die Substanz mir lebendig, wie tausende kleine Tiere. Der Schweiß strömt mir übers Gesicht, mein Hemd klebt an meiner Haut. Da ist keine Bewegung in diesem Gesicht unter dem Bürstenhaar, nicht einmal Verachtung, nicht einmal Hohn, nicht einmal sadistisches Amusement.

Die Sybille grinst schief. Ein geübter, gekonnter Griff. Die Handschuhfinger reiben das Gel kräftig in die wunde, blutige Haut. Es fühlt sich kalt an, lindert kurzfristig sogar den Schmerz, wird dann schnell wärmer, beginnt zu kribbeln wie von winzigen Ameisen.

Sie bringen jetzt einen Sessel, auf den ich gesetzt werde.

Das Kribbeln wird langsam zum Jucken, dann zum Brennen. Ich verziehe das Gesicht, ich beginne zu stöhnen. Schließlich brülle ich los, winde mich in meinem Sessel, und ich höre, wie mein Schreien zum Wimmern wird.

Die behandschuhten Hände sind jetzt nur noch in der Nähe. Sie brauchen mich nicht mehr zu zwingen. Solange mein Geschlecht solche Schmerzen gibt, werde ich ihnen nicht leicht entkommen. Und danach?

Was haben sie mit mir getan?

Ganz einfach.

Die Mikroben verschmelzen mit der Haut. Sie bilden einen undurchdringlichen Film, besser als jede Umhüllung, Ummantelung, dichter als Glas, flexibler als Latex, dünner als jeder Kunststoff. Das wird die Empfindlichkeit des Schwanzes ein wenig herabsetzen. Das ist aber nicht der Grund, weshalb die Gabe verabreicht wird.

Liebevoll beinahe, reichen die Hände mir jetzt eine Decke, bedecken meine Blöße, meine Kälte. Es schmerzt, als hätte man mir den Schwanz abgerissen. Es schmerzt nicht genug. Ich höre noch immer, was die Sybille von ihrem Thron herab zu mir spricht.

Parasepiden verfügen sehr wohl über Sinne. Nicht sonderlich präzise sind diese Sinne, und es fällt schwer, sie zu menschlichen Sinnesorganen in irgendeinen Bezug zu bringen. Es sind keine Augen -- sie sehen nicht. Es sind keine Ohren -- es sind keine Schallwellen, was sie wahrnehmen. Subtile Schwingungen, am ehesten wie ein Tastsinn, der nicht wie unserer auf die nächste Umgebung beschränkt ist. Sie erkennen einander, und sie erkennen gewisse andere Mutationsformen -- Betaparasepiden zum Beispiel. Sie erkennen sogar einzelne Stämme, fast wie Familien, und genau ein Stamm Betaparasepiden paßt genau zu einem Stamm Gammaparasepiden. Ob mir langsam klar wird, worauf sie hinauswill? Welche biotechnische Revolution ich erleben darf -- und nicht nur als unbeteiligter Zeuge? Der Film auf dem Geschlechtsorgan verhält sich so ähnlich wie Hartgummi, solange, bis er die passenden Betaparasepiden erkennt. Dann wird er, Wunder der Wissenschaft und Natur, weich und elastisch, und läßt auch etwas mehr an Empfindung zur eigenen und ursprünglichen Haut durch. Ob ich mir vorstellen kann, was dann geschieht? Ja, wenn die Mikroben sich so gütig zeigen, kann der Mann endlich, endlich wieder einmal, wie er so gern will. Sonst nämlich nicht.

Ich blicke aus meinem Schmerz auf, hoch zur Sybille. Sie lächelt nicht. Sie sieht mir nur in die Augen, fest und still.

Die meisten Aufträge kommen von Ehefrauen, Freundinnen, Lebensgefährtinnen, die sich betrogen fühlen oder einfach nur sichergehen wollen.

Michael? Oh ja, Michael. Michael, ihr Paradepferd, ihre Vorführuniform. Wie lange hat Michael sich beklagt? Bei jeder von unseren kleinen Sitzungen in der schmierigsten Kneipe von allen, jedesmal. Oh ja, sie wissen das. Freilich. Seine Mutter mischt sich in sein Privatleben, er hält das bald nicht mehr lang aus, er wird bald noch auswandern, ein Haus in - ja, wo? Ständig will sie ihn verkuppeln, ihn an die Frau bringen und unter die Haube. Einmal lächelt unsere ungekrönte Königin, denn das war der schönste Moment überhaupt: als Maria, der Bankangestellten, klarwurde, was die Sybille und ihre Wächterinnen ihr da in die Hand gaben.

Mit dem Standesamt hat die Mutter sich schon geeinigt; der Pfarrer, er hört schon die Glocken läuten. Ja, Michael, der sich so bemüht hat, wird ein Ehemann sein, dem keine Untreue einfällt.

Und was ist mit dir, meine neugierige Schnüffelnase? Was tun wir mit dir? - Nun, zunächst einmal darfst du dich anziehen. Und dann wirst du gehen. Und sonst nichts. Erraten: auch deine Gammaparasepiden, die gerade dabei sind, es sich in deinem Schwanz gemütlich zu machen, haben einen passenden Stamm ihrer Verwandten, theoretisch wenigstens. Die Formel allerdings wurde verbrannt, vernichtet, vergessen. Du bist, was noch niemand vor dir war, ein Schloß ohne Schlüssel. Du wirst ein Vorbild für deine Generation sein, ein Licht in der Dunkelheit -- ein Mann, für den Zölibat keine leere Formel und Versuchung ein Fremdwort ist. Und ich soll doch nicht traurig sein. Der Verlust für die Frauen ist durchaus erträglich.

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