Heimsuchung

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Es war bereits dunkel. Bunte Blätterhaufen bedeckten den Gehsteig. Eva kam von der Arbeit. Im Aufsperren blickte Eva sich um, ganz automatisch wie jedesmal, ob ihr jemand folgte. Eine Vorsichtsmaßnahme, unnötig im Grunde, die sie von ihrer Mutter übernommen hatte.

Peter hatte eine Besprechung und würde erst spät kommen. Das war nicht neu; das verschaffte ihr Zeit für sich selbst. Kaum dass sie die Tür hinter sich geschlossen und die maßvollen Stöckel abgestreift hatte, eilte sie ins Badezimmer und säuberte die Wanne ausführlich von den Resten von Peters letzter Dusche. Sie nahm sich vor, dass sie sich nicht ärgern würde. Das Wasser floss zögerlich ab; scheinbar brauchte das Abflussrohr eine Reinigung. Sie ärgerte sich nur kurz, in Vorfreude auf das heiße Bad. Sie nahm eine Badekugel mit goldenem Glitter, um sich heute besonders zu verwöhnen. Sie grinste, als die Kugel aufspritzend ins Wassser fiel.

Sie genoss die Ruhe im Haus. Sie nahm sich eine von Peters wertvollen Platten aus dem Karton, gutes und altes schwarzes Vinyl mitsamt Kratzern, und legte sie mit Bedacht auf den Plattenteller. Wie beschwipst von der Musik, ließ sie die züchtige graue Hose, den Blazer und die weiße Bluse auf das Sofa fallen. Mit einer träumerischen Bewegung fuhr ihre Hand den Bauchansatz entlang, berührte den flachen Bauchnabel. Sie erinnerte sich flüchtig und etwas wehmütig daran, wie Peter ihn früher geküsst und mit verklärten Augen den Nabel einer ganzen Welt der Anmut genannt hatte. Sie schüttelte den Kopf, weil sie sich bei einer Sentimentalität ertappte.

Die Strumpfhose lag dunkel, ein schlaffes kleines Wesen. Auf ihre Beine war Eva stolz; lang und schlank gefielen sie ihr unter dem Lampenlicht.

Sie tanzte sogar ein wenig, wiegte sich mit der Musik. Dann trat sie ins Vorzimmer, berührte den Lichtschalter, und in diesem Moment erlosch das Licht hinter ihr.

Die Dunkelheit schien ihr undurchdringlich; als wäre sie eine Substanz, die Eva die Sicht nahm. Als verfolge sie eine Absicht. Als umkreiste sie Eva, lauerte auf den Moment, zöge sich immer enger um sie zusammen.

Die Platte spielte weiter, unheimlich das Geräusch hinter ihr in der Finsternis.

Sie verfluchte sich dafür, dass sie starr in der Tür stand. Der Schalter war nur wenige Schritte entfernt, aber die Entfernung erschien ihr jetzt unüberwindbar. Einige Sekunden lang zögerte sie, dachte sogar daran, sich wieder ins Wohnzimmer zu setzen. Dann nannte sie sich aber kindisch und feig, überwand sich und zwang sich, zur Treppe zu hasten.

Stromausfall, dachte sie, aber schließlich spielte die Platte noch. Ihr wurde bewusst, dass sie dringend aufs Klo musste. Wenn sie das Klo oben benutzte, war sie nachher gleich neben dem Bad. Das im Erdgeschoß war näher, sicherer. Sie entschied sich.

Dann saß sie und wollte sich klarmachen, dass alles in Ordnung war. Hier in dieser kleinen Kammer war Sicherheit, hier, wo sie sich eingesperrt hatte, hier in der dunklen Enge.

Aus dem Wohnzimmmer kam ein lautes Knacken. Knisternd und zischend wiederholte die Platte ein paar Töne, wieder und wieder. Es klang wie ein Wort. Eva hockte stockstarr. Kälte kroch ihr über den Rücken. Etwas wie eine Stimme, leise, undeutlich, die in einer fremden, uralten Sprache flüsterte, drohend, andeutend, lockend. Wenn sie sich nach oben wandte, dem Lüftungsgitter zu, könnte da ein Gesicht sein. Sie schlug die Hände vor die Augen. Tränen quollen hervor.

Sie kniff die Augen fest zu gegen die Angst. Sie hatte ein paar Mal solche Einbildungen erlebt, wie jeder Mensch, wenn sie als Kind in den Keller musste oder einmal, als sie glaubte, sich im Wald verlaufen zu haben... Ihr damaliger Freund hatte dumme Witze gemacht, um ihre Angst zu schüren, hatte ihr von Leuten erzählt, die im Wald draußen verloren gegangen waren. Sie hatte es schon damals nicht lustig gefunden.

Es war ganz deutlich: Da war eine Stimme, und sie wurde lauter und bestimmender.

Sie stand schnell und krampfig auf, ohne nach oben zu schauen, und reinigte sich. Sie hatte Angst, die Spülung zu betätigen. Man wusste nicht, was sich in dem Geräusch verstecken, um die Ecke kriechen konnte.

Erst, als sie draußen war, wurde ihr bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wohin sie laufen sollte. Sie stand gegen die Wand gepresst, die Augen zugekrampft, die Lippen fest geschlossen.

Dann war es vorbei. Von einem Moment auf den andern. Sanft flutete Licht aus dem Wohnzimmer.

Sie riss sich zusammen, atmete tief durch und beeilte sich, die Stereoanlage auszuschalten. Sie summte die Melodie, wie um sich Mut zu machen, schüttelte sich und ging zügig die Stiegen hinauf.

Sie zog das Höschen und den BH aus und prüfte die Temperatur mit der Fußspitze. Sie glitt langsam in die Wanne und genoss die Wärme, die sie umfloss, und nach und nach vergaß sie das alles: den Zwischenfall, die bedrohliche Stimme, sogar den Missmut der letzten Tage.

Sie lag, die Augen geschlossen, das Gesicht bis knapp unter der Nase im heißen Wasser, und sie hörte sich selbst atmen, erst noch schnell und flüchtig, dann regelmäßig, tief und beruhigend. Sie tauchte ganz unter, war nur ganz allein in der Wärme - und dann fragte sie sich, ob es wirklich nur ihr eigener Atem war, den sie da hörte - ein schleppendes, keuchendes Nebengeräusch hatte sich eingeschlichen, und bevor sie die Augen öffnete und hochschoss, dass das Wasser im Schwall über den Wannenrand schwappte, konnte sie schwören, dass jemand neben der Wanne stand und sie bleich anstarrte.

Sie versuchte sich zu beruhigen, zwang sich zurück in das Wasser, aber sie konnte sich nicht mehr entspannen. Als Peter heimkam, fand er sie im Bett, in die Decke eingeschlungen als einen schützenden Panzer. Er kuschelte sich an sie, sah sie mit seiner Mischung aus Mitgefühl, Überraschung und Sorge an.

Schließlich ließ sie ihn die Decke wegziehen, und darunter war sie noch immer nackt. Sie zitterte, als würde sie frieren. Sie zog ihn an sich und begann, ihm das Hemd aufzureißen, blau und seidig. Ein Knopf sprang klackend auf den Boden. Freudig machte er mit, lag bald nackt neben ihr, und sie rollte sich auf ihn. Sie konnte nicht glauben, dass sie so feucht war - sie bäumte sich auf ihm auf, schickte kurz einen ängstlichen Blick zur Decke und versuchte sich wieder auf ihren Geliebten zu konzentrieren.

Sein Schwanz war eisenhart von dem lange erzwungenen Verzicht und der unerwarteten Aufmerksamkeit.

Sie versuchte zu genießen, die Reibung in ihrer Scheide zu spüren und sich der angenehmen Spannung hinzugeben, die davon ausging. Angestrengt und außer Atem, stieg sie von ihm und legte sich hin, mit einladend gebreiteten Beinen.

Sie spürte seine Bemühung, seinen Willen; vor allem aber seine verdammmte Rücksichtnahme und Vorsicht.

"Komm", rief sie. "Komm, komm, komm!" Und Peter warf sich mächtig ins Zeug und schnellte sich mit Anstrengung und Begeisterung hart in ihre Weiche; unweigerlich begann sie zu stöhnen, wie als Erinnerung an eine gute Zeit; ihre Fingernägel bohrten sich hart in seinen Rücken, und er heulte auf, was sie noch mehr anstachelte. Sie wollte ihm wehtun, sie wollte alle Kraft in diese Bewegung, dieses Gefühl legen. Als sie viel zu schnell kam, riss sie die Augen auf, und sie war nicht sicher, ob sie zu Peter gesprochen hatte oder zu dem weißen Gesicht, das an der Decke schwebte und sie missgünstig ansah.

Gewaltsam stieß sie ihn von sich, wohl wissend, dass er schmerzhaft unbefriedigt lag. Er zeigte es aber nicht, immer noch voll von Hoffnung. "Was ist los?" fragte er zart. Sie ertrug seine süßliche Stimme nicht mehr. "Ach, geh doch ins Bad", rief sie und warf sich wütend auf die andere Seite. Auf ihrem Gesicht lag Verachtung. Warum sollte er auch befriedigt sein - sie fühlte sich selbst öde und leer, entladen wie eine ausgemusterte Batterie. Sie dachte daran, wie es wäre, ihn über die Bettkante zu legen und mit einem Gürtel zu schlagen, bis er blutete und um Gnade schrie.

Zu Tode erschrocken, dachte sie, dass sie daran nicht wirklich gedacht haben konnte. Es war wie ein Traum gewesen, der ablief, ohne dass sie darauf Einfluss hatte. Es hatte sich auf sie gelegt, eine zweite Haut, die sie gänzlich umgab, sodass sie von der Außenwelt abgeschnitten war und ihr das Atmen schwer wurde. Ein heftiges Zittern erschütterte sie. Sie versuchte einzuschlafen. Peter lag an ihr, flüsternd, besorgt.

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