Der Gang hatte links und rechts verschlossene Türen, hinter die ich vielleicht nie einen Blick werfen würde. Ich seufzte. Vor dem Spiegel kontrollierte ich mich, um vielleicht heute zu schaffen, was mir bis jetzt nicht gelungen war. Das Seufzen zeigte bloß, wie dieses Ziel in die Jahre gekommen war und sich dabei verwandelt hatte: Irgendwann war das ein Ort gewesen, den wir erreichen wollten. Später wurde das Ziel zum Horizont, und irgendwann schien es keinen Ausweg mehr zu geben. Wir taten weiterhin mit, weil wir mußten oder nicht anders konnten.
Hinten der große Raum war wunderschön eingerichtet, was von gutem Geschmack zeugte, und erfüllt mit menschlichen Lauten, Musik und Gelächter, Gemurmel. Die Sybille stand, an eine antike Kiste gelehnt. Ein Kreis aus Schweigen umgab unsere ungekrönte Königin. Wie eine Königin sah die Sybille nicht aus, ihr zerbrechliches Lächeln: Wir boten ihr unseren Respekt, ohne viel Worte zu verlieren. Die Bekundungen unserer Zuwendung, waren wir Liebediener unter uns, betrafen ihre Brust unter dem weißen Pullover, die wir uns sanft gerundet dachten und samtweich, ihre Hüften und ihre Taille und ihre Beine. Ihre Lippen und ihre Augen und ihre Backenknochen, ihren Haarschopf und ihren Arsch. Die Brustspitzen, die sicher zart rosa waren und sich stolz jedem Luftzug entgegenreckten.
Einmal gerieten wir in Versuchung, daß wir uns in all unserer Anbetung verbrüderten, und Maria war hübsch und drall und sanft. Sie näherte sich uns mit einem lockeren Schritt, leicht und beinahe schwebend, aller Figur zum Trotz. Wir hofften, daß sie unsere Schweißhände nicht sah, und versuchten vergeblich, ihr nicht auf die ausufernden Brüste zu starren. Sie stellte sich vor, und mit ihrer reibenden Stimme flüsterte sie Michael etwas zu, und ich konnte sehen, wie er unter dem steifen Hemd bebte vor Anspannung. Sein Ohr war dann blutigrot.
Er löste seine Hand aus der Erstarrung, schob sie sich instinktiv vor den Hosenschlitz und zog sie sofort wieder zurück. Ich konnte einen kurzen, interessierten Blick sehen hinter den niedergeschlagenen Wimpern, ein begehrliches Lächeln aus dem runden Gesicht, und ihr schnelles, hartes Schlucken.
Während sie einander auf die Tanzfläche zerrten, sah uns Michael flehend an. Verzeihung hatte er nicht zu erwarten, und Verschwiegenheit würde ihm nicht weiter helfen. Vielleicht hoffte er, daß wir ihn zurückhielten, bevor er zu weit ginge. Wir aber standen und gafften. Zu Sybille hinüber traute ich mir sowieso keinen Blick zu. Man erzählte mir später, sie hätte die Augenbraue gehoben wie im Erstaunen, sich aber gleich wieder abgewandt. In meinem Kopf sah ich es dann wie eine Doppelbelichtung und mußte die Augen schließen, und mußte den Schwindel abschütteln.
An das Gaffen erinnere ich mich genau. Ich erinnere mich genau, daß die Sybille später verschwand, und ihre Mädchen mit ihr, und wie nach und nach unser Hauptgespräch uns übermannte, und wie wir uns in ein abgelegenes, abgewetztes Wirtshaus zurückzogen, um schon auf dem Wege abermals die Hüften und Backenknochen zu beschwören und die hilfreichen Geister der Trunkenheit um uns zu scharen.
Ich erinnere mich, daß auf dem Weg einer lallte, wo eigentlich Michael war. Wir waren aber fröhlich in unserer gemeinsamen Aufregung, und erst, als wir sicher waren, daß wir sicher auf den schmierigen Holzbänken lümmelten, trauten wir uns allerlei Spekulation zu. Vielleicht waren die beiden geflohen, dem Bannkreis der Sybille entlaufen, um in einem weitbauchigen Schiff andere Länder zu sehen, andere Kontinente und fremde Völker.
© Bess LaMess 2005-2021