Nein, ich hätte nicht nennen können, was mich so antrieb. Ich befand mich für eine Zeit außerhalb meines Denkens.
Als es mir in den Kopf drang, daß bei meinem Griff wirklich die Tür sich bewegte, konnte ich ein kurzes, hysterisches Lachen nicht verhindern. Wir hatten uns immer an die Regeln gehalten. Wir waren weiter geradeaus gegangen und hatten nur im Vorbeigehen die Türen angeschielt mit dem Wunsch, unsere bloßen Blicke könnten sie durchschauen.
Mir schlug die Wärme hart ins Gesicht, und ich dachte, wie ich Michael ungläubig angestarrt hatte.
Ohne zu wollen, suchte ich in dem winzigen Raum nach einer Bewegung. Ich starrte auf ein totes Tier, das sich in die Ecke kauerte oder zum Sprung ansetzte, bis mir plötzlich klar wurde, daß das kein lebendes Wesen war, sondern ein Gerät oder ein Spielzeug oder sonst etwas, das ich nicht verstand.
Andere Gegenstände erkannte ich: Eine große Zange, Klammern, Tupfer, ein Bohrer. Das alles paßte nicht. Es war wie ein verzerrter, bizarrer Operationsraum, aber für eine Operation blieb kein Platz.
An der Wand stand ein Aktenschrank, so als wartete er auf mich, so als wäre er nur für mich da. Ich ließ die Tür leise hinter mir ins Schloß gleiten und machte mich an die Arbeit.
Ich fand eine Akte für jeden von uns. Michael, Manfred, ich, wir waren katalogisiert, mit Nummen und Paßbild versehen, und in jeder Akte steckten mehrere Seiten mit Anmerkungen, vieles war handgeschrieben, überall gab es auch ganze Absätze von einer Schreibmaschine. Ich erfaßte ein paar Wortfetzen wie aus wirklichen Krankenberichten: von Applikantinnen war da die Rede, von Wirkung und Nebenwirkung, von Probanden und Proben und Kontrollgruppen. Ein Wort, das mir nichts sagte, war besonders häufig: Parasepiden. Ich versuchte es mir rasch einzuprägen.
Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit mir blieb. Ich hatte keine Wahl. Den Schweiß auf der Stirn, das Herz bis zum Hals, hockte ich mich auf dieses Ding, das aussah wie ein Behandlungsstuhl, und begann zu lesen.
Als sie mich auflasen, gab es kaum etwas zu leugnen. Ich lag auf dem Boden, Akten lagen neben und auf mir verstreut. In der Hitze und Aufregung war ich unaufmerksam geworden, hatte kurz die Beherrschung verloren und war umgekippt. Dann standen drei der Wächterinnen um mich, zerrten mich auf die Beine, schrien mir Drohungen ins Ohr und schleiften mich in den großen Saal.
© Bess LaMess 2005-2021