Die Sybille

oder
Parasepiden

Teil 4

Soso.

Ich wollte es also wissen. Nun. Ich werde es wissen. Ich höre kein fröhliches Lachen, es ist trocken und traurig, wie als hätte sie schon zu viel Erfahrung gemacht. Ich werde endlich erfahren, was sie mit Michael getan haben. Keine Maria wird meine Erfahrung versüßen. Es wird schnell erledigt sein, schmerzhaft, und vor allem, nicht rückgängig zu machen. Ich werde herum kratzen und drücken, blutig werde ich mich machen. Vielleicht werde ich wochenlang meine Nägel wachsen lassen in der aberwitzigen Hoffnung, daß es mit den Nägeln leichter sein könnte.

Und es funktioniert. Ich sehe plötzlich Michaels langgewachsene Fingernägel, die kleinen Blutkrusten daran. Ich erinnere mich an seine ausweichenden Antworten.

Werde ich auch heimlich tun? Aber so darf ich nicht denken: so als wäre es schon geschehen. Vielleicht wird sich eines der hohen Fenster auftun, und es wird ein Mann in einem schwarzen Anzug hereinschweben, eine Gesichtsmaske und einen großen Hut auf, und wird ihre Larven töten, eine nach der andern, und wird sich der Sybille schließlich zuwenden.

Da hört es sich aber schon auf. Ob ich mich freiwillig ausziehe oder ob es die Wächterinnen mit Gewalt tun werden. Es macht keinen Unterschied. Ich fuchtle an mir herum. Ich verstehe nicht, was sie will. Ich will es nicht verstehen. Vielleicht geht es bloß darum, mich zu demütigen. Wahrscheinlich geht es nicht um die Geldbörse in meiner Hosentasche. Ich lasse die Hose nieder, auch die Unterhose. Ob es mir gefällt, ich hätte mir schließlich sicher schon oft gewünscht, nackt mit Sybille in einem Raum zu sein. Nackt, aber wohl nicht im Beisein ihrer Wächterinnen, die alle mindestens zwei asiatische Kampfsportarten beherrschen, nicht mit einer Pistolenmündung im Haupthaar.

Michael, der immer nach den Regeln spielte. Michael, der sein Möglichstes gab. Michael, der sich sogar beherrschte, als ich mit meinem freundschaftlich guten Wollen doch nur die Wahrheit von ihm wollte.

Ich atme auf. Sie wissen nicht alles. Aus meinem Gesichtsausdruck wird geschlossen. Jede Bewegung wird registriert. Etwas rollt näher, außerhalb meines Blickfelds. Ich höre das Kreischgeräusch der Räder auf dem Kunststoffboden. Die Wächterinnen sollen mich auch an dem Anblick teilhaben lassen. Es ist ein Wagen, wie ich ihn heute nacht schon gesehen habe: Geräte wie aus der Höhle eines schizophrenen Gynäkologen, ausgebreitet von einer pedantisch geführten Hand. Vor einigen Stunden hätte ich nicht geglaubt, daß es solche Geräte überhaupt gibt. Vor ein paar Tagen war ich nichts anderes, als ein folgsamer, hoffnungsfroher Liebediener.

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