Heimsuchung

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Das Haus lag jetzt ruhig - nicht einfach still, nicht nur frei von Lauten, sondern in einem Frieden, den es schon lange nicht mehr gekannt hatte. Die Bewohnerin stellte fest, dass sie sich befreit fühlte, auf eine Art, die sie nicht erwartet hatte. Sie hatte sofort das Bett frisch bezogen, hatte sich ein heißes Bad eingelassen, und dann war sie schlaftrunken in die Daunen gesunken.

Im tiefen Schlaf war sie unbemerkt aufgestiegen, bis hoch unter das Himmelsschwarz. Ein Stern brannte ihr in den Augen, ein heller Komet, bevor er hinabstarb und ausbrannte.

Dann zog es auch an ihr, an ihrem Leib mit viel Macht; sie versuchte sich mitten im Nichts festzukrallen, wusste schon, dass sie fallen musste. Es war nicht in ihrer Macht, nicht ihr Beschluss: Sie war verstoßen worden, und die Wut darüber änderte alles.

Sie fand sich auf dem Boden und fragte sich, wo das Licht herkam, das sie überall umgab. Ein wunderschöner Mann kam ihr aus dem Licht entgegen, er war selbst das Licht. Es schmerzte in ihren Augen, aber sie wollte sich nicht abwenden; sie wollte sich dem leuchtenden Mann hingeben. Sie wusste, er würde sie verschlingen.

Sie empfand Trauer, alles aushöhlende, tiefe Trauer, einen Verlust, der sie beinahe umbrachte.

Als sie aufwachte, war sie verwirrt, auch ein wenig ängstlich - sie wusste nicht, was auf sie zukam. Ihr Verstand schien klarer und schärfer geworden, und sie bereitete sich auf eine Schlacht vor, um das Haus, um die Schallplattensammlung, um alles. Sie verhielt sich still.

Nach ein paar Tagen besserte ihre Stimmung sich überraschend schnell. Beinahe wie in einem Zustand von anhaltender Euphorie, fühlte sie sich in der Lage, ihr Leben an sich zu reißen, endlich das Alleinsein zu genießen.

Bald rief sie Brigitte an und war froh, dass die sich, neugierig und gut befreundet, sofort mit ihr treffen wollte.

Sie hatte sich fest vorgenommen, ihren letzten Abend mit Peter, was sie an diesem Abend getan hatte, nicht zu erwähnen. Sie war aber den Alkohol nicht gewohnt, Brigitte bestellte Margaritas, ohne vorher zu fragen, und ihre Fragen waren freundschaftlich bohrend und voll Interesse - nach zwei Drinks verließ Eva die Vorsicht; sie machte ein paar Andeutungen, so vage sie konnte, und war erstaunt, wie konkret sie dabei wurde.

"Oh mein Gott", machte Brigitte. "Oh. Mein. Gott!"

Sie sah sie mit weit aufgerissenen Augen und der Hand vor dem offenen Mund an. Neben dem Staunen war da Bewunderung. Eva ließ sich hinreißen und gestand ein paar Details. Sie wurde nicht einmal rot dabei. Es musste am Alkohol liegen.

"...ein bisschen Sado-Maso... hast du mir ja selbst geraten..."

Sie konnte sehen, wie aus der Bewunderung Schreck wurde. Sie versuchte, die Situation zu retten: "Er war sehr begeistert." Sie nickte, wie um sich selbst zu bestärken.

Das Erstaunen verwandelte sich in Abscheu. Eva hatte jetzt keine Lust, sich damit zu befassen. Schließlich war Brigitte ihre beste Freundin, und von einer besten Freundin erwartete sie Unterstützung. Und dann waren sie hier, um sich zu amüsieren... Schräg hinter Brigittes Schulter starrte ein Mann Eva an, und der Mann war hübsch anzusehen.

In ihrem Leben hatte Eva sich immer vor diesen Blicken gefürchtet. Sie hatte nicht gewusst, welche Macht sie besaß durch die Begierde der Männer.

"Entschuldige mich", sagte sie kalt. Strafe muss sein, dachte sie.

Sie baute sich vor dem Mann auf. "Sie sollten aufhören, mich anzustarren", sagte sie und schaffte es sogar, nicht zu kichern.

"Was sollte denn passieren?" fragte er sie gelassen.

"Wer weiß", stellte sie fest. "Vielleicht bin ich nicht so nett, wie ich aussehe."

"Das dürfte schwer möglich sein." Er grinste breit. "Auf mich wirken Sie sehr gefährlich." Er zwinkerte.

"Ach?"

"Ich weiß gar nicht, wovor ich mich zuerst fürchten soll... Vor den hochgehobenen Augenbrauen oder dem stechenden Blick?" Er lachte, bestellte einen Talisker doppelt pur und eine Margarita, warf einen Blick auf Brigitte und sagte: "Wollen Sie mir nicht Ihre Freundin vorstellen? Höfliche Mädchen tun sowas."

"Wer sagt, dass ich höflich bin? Übernehmen Sie sich nicht - es könnte sein, dass Sie mit zwei Frauen überfordert sind."

Er lachte schon wieder. Sein Lachen war hinreißend. Wie zufällig berührte seine Hand ihren Arm. "Ach, ich kann schon verstehen, wenn Sie mich für sich allein haben wollen. Gehen Sie immer so schnell ran?"

Es musste am Alkohol liegen. Ihr Herz raste. Etwas durchflammte sie wie eine Erinnerung, ein süßes Wiedererkennen. Sie nahm nervös einen Schluck. Er entschuldigte sich spöttisch. "Ich habe Sie in Verlegenheit gebracht, es tut mir leid."

Etwas sagte ihr, dass sie davonlaufen sollte, schnell und weit. Für eine kleine Sekunde hatte sie ihr Badezimmer vor Augen, das Gewächs, das sie berührte, umschlang. "Ich muss mich um meine Freundin kümmern..." murmelte sie.

"Ihre Armreifen klappern lustig", sagte er, und ihr wurde bewusst, dass sie nervös damit spielte. Sie legte die Hände hinter den Rücken und versuchte, die Hand ruhig zu halten.

"Sie müssen sich wirklich um Ihre Freundin kümmern", sagte er fröhlich. Sie folgte seinem Blick und sah Brigitte, die sich mit einem fremden Mann unterhielt. Dann war seine Stimme ganz nahe an ihrem Ohr, flüsternd: "Wir werden es langsam angehen. Herausfinden, wie viel Spaß du jetzt gerade haben willst, und wie viel du vielleicht später bekommen kannst."

"Ich muss gehen", sagte sie kraftvoll, drehte sich um und stellte sich offensiv an Brigittes Seite. Sie wollte nicht, dass er ihr nachkam. Sie wollte nicht einmal, dass er ihr nachblickte. Sie warf keinen Blick über die Schulter - nur einen ganz kurzen - um sicherzugehen. Der fremde Mann, mit dem Brigitte sich unterhielt, machte eine sexistische Bemerkung.

"Was sagt er da?" fragte Eva.

"Ich glaube, er mag mich... oder meine Titten", sagte Brigitte.

"Wie charmant!" sagte Eva. "Glaubst du, er begreift, dass er gehen soll, wenn wir ihn einfach nicht beachten?"

Brigitte betrachtete den Mann, der mit offenem Mund und hochrotem Gesicht dastand. Eva zuckte die Schultern. "Selber schuld", sagte sie in seine Richtung.

Er murmelte etwas, das wie eine Entschuldigung klang. Sekunden später war er in der Menge verschwunden. "Er hat mir nichtmal ein Getränk bezahlt", murrte Brigitte. Eva stand jetzt so, dass sie den Kerl mit dem Dreitagesbart aus dem Augenwinkel sehen konnte. Er trank gerade seinen Whisky aus.

"Ach, das wär noch gekommen", sagte Eva. "Außerdem findest du sicher schnell einen andern. Oder bist du verliebt?"

Brigitte grinste. "Freilich." Der Mann mit dem Dreitagesbart machte eine Bemerkung zu einem jungen blonden Ding, das neben ihm stand.

"Hör mal, ich..." Eva wollte vorschlagen, dass sie in ein anderes Lokal gingen. Sie hatte es sich fest vorgenommen. Es war das, was sie tun sollte. Es war klug. Es war... Sie fand sich mit dem Daumen nach dem Mann deuten, den sie gerade kennengelernt hatte.

Brigitte verdrehte die Augen und seufzte. "Du möchtest ihn mit nach Hause nehmen."

"Das habe ich nicht gesagt", verteidigte Eva sich. Sie trippelte auf ihren Stöckeln herum. Der Mann mit dem Dreitagesbart sagte etwas, und das blonde Mädchen lachte hysterisch.

"Das war keine Frage", sagte Brigitte. "Du möchtest. Punkt. Lass dich nicht aufhalten, Schätzchen."

"Danke danke danke", machte Eva. "Du bist die Beste." Sie pflanzte ihrer Freundin einen dicken Kuss auf die Wange. "Das nächste Mal bin ich brav, ich versprechs."

"Ja ja", sagte Brigitte. "Geh nur. Ich such mir inzwischen einen neuen Versorger."

Eva machte einen Schritt, und zwei, und als sie beinahe vor ihm stand, sah sie, dass der Mann mit dem Dreitagesbart seinen Arm um die Hüfte des blonden Mädchens gelegt hatte.

Sie begriff nicht, was sie getrieben hatte, sich so zu erniedrigen. Es war ein unwürdiges Schauspiel. Sie musste ihre Ehre retten.

Sie beschloss, sich umzudrehen, um zurückzuschleichen und vielleicht noch einen Rest Würde zu behalten.

Sie konnte es nicht.

Es war, als wäre etwas in ihrem Kopf geschehen, ein Schalter umgelegt worden. Als würde die Stimme wieder zu ihr sprechen, drängend und fordernd: "Du wirst warten, bis er dir seine Aufmerksamkeit schenkt. Du wirst ihn fragen, ob er mit dir kommen will. Du wirst dich ihm hingeben."

Sie hechelte. Plötzlich schien die Luft um sie unerträglich heiß, stickig und schmerzhaft.

Der Mann sah sie. Jetzt war es zu spät, einfach zu gehen. "Oh", sagte er. "Darf ich dir meine Freundin vorstellen? Wir haben uns vorhin kennengelernt. Kein Grund also, eifersüchtig zu sein. Das ist Debbie. Sie ist blond." Er lachte laut.

"Eva", sagte Eva unbeholfen. Sie wollte im Boden versinken.

Debbie gab ihr eine drucklose bleiche Fischhand.

"Eva, hast du dich um deine Freundin gekümmert?" Eva nickte, dummes Schulmädchen. Verdammt. Was brachte sie so zum Verstummen?

Der Mann nahm ihre Hand. Sie kannte seinen Namen noch immer nicht. Sie fühlte sich unwohl, gelähmt. Sie wollte fliehen, und sie wollte diesen Mann. Jetzt. Daheim. In ihrem Bett. Blitze vor ihrem Auge - es war nicht in Ordnung, es war alles durcheinander und falsch.

Aus der Verzweiflung wurde ihr eine Eingebung zugeflüstert. Sie horchte angestrengt, dann pflanzte sie sich vor den beiden auf: "Wie kannst du das deiner Frau antun, du Widerling?" rief sie mit einer Empörung, die ihr von Wort zu Wort realer vorkam. Dann gab sie ihm eine schallende Ohrfeige.

"Okay", sagte Debbie und schlug abwehrend ihre Hände in die Höhe. "Ich weiß nicht, was ihr hier laufen habt, aber ich bin eine Wolke." Und verschwand im Gewühl, Schäfchen sicher in seiner Herde.

"Aua!" sagte der Mann, aber er musste lachen. "Das war großartig. Komm her, gib mir ein Küsschen!"

Er nahm sie fest in die Arme. Sie wollte ihn auf den Mund küssen, aber er schüttelte den Kopf: "Nur auf die Wange. Du hast mich geohrfeigt, so schnell vergesse ich das nicht." Sie küsste ihn brav auf die Wange. Ihre Augen glänzten wie im Fieber. "Und wie du mich geohrfeigt hast!" klagte er und rieb sich die Wange.

"Oh", machte Eva. "Ich würde dich sehr gerne streicheln, bis es dir wieder gut geht."

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