Sie erwachte, lag in ihrem Bett, nackt.
Sie wollte glauben, dass es ein Alptraum war. Sie zählte die Fakten auf: Es war kein Brandgeruch wahrzunehmen, und das Haus stand noch. Es war nur ein Traum gewesen, nur ein Traum, nur ein Traum...
Aber sie hustete sich die Seele aus dem Leib, und ihr Gesicht war heiß, als wäre es großer Hitze ausgesetzt worden. Und Gernots Unfall?
"Du hast deine Chance gehabt", sagte die Stimme.
Sie zuckte zusammen. Die Stimme klang nicht mehr wie ein fernes Echo, nicht wie tausend Stimmen, die sich im Chor erst fanden. Sie klang klar, streng, beinahe menschlich. Darum musste sie sich kümmern - zuerst aber hatte sie andere Dinge zu tun. Sie schloss die Augen, ihre Stirn kräuselte sich - sie musste sich jetzt beherrschen, die Fassung behalten, die Situation unter Kontrolle bekommen: langsam, ein Schritt nach dem andern.
Sie würde sich doch nicht einschüchtern lassen! Sie würde kämpfen. Die Stimme kicherte leise. Sie würde... sich nicht in ihrem eigenen Haus einsperren lassen, sie würde...
Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. Hilflos ließ sie es laufen, schrie die Wände ihres Zimmers an aus Wut und Scham.
Als sie zum Telephon griff, war es, als würde sie eine Niederlage eingestehen.
"Gernot", sagte sie, so ruhig sie es konnte; schon wieder kamen ihr die Tränen hoch. "Es war kein Unfall, oder?"
Er war gesprungen. Aus dem Fenster. Er war aufgewacht, mitten in der Nacht aus einem schlimmen Alptraum. Er hatte ein Rauschen gehört, ein gewaltiges Brummen, zehntausend winzige Flügel. Er wollte nachsehen, hatte sich völlig unsinnig mit einem Tennisschläger bewaffnet. Tausende. Zehntausende. Es waren Hornissen. Er war aus dem Fenster gesprungen.
"Es tut mir leid", sagte sie.
"Was denn? Es war ja nicht deine Schuld... du glaubst doch nicht, dass ich deinetwegen..."
"Nein. Nein. Gernot. Du kannst das jetzt nicht verstehen... Es tut mir leid. Es tut mir so leid."
"Nein, warte! Hör mir zu!" Ein Hustenanfall unterbrach ihn. Keuchend sprach er weiter. "Er will..." Er hatte kaum Atem. "...dass du den Kontakt verlierst. Das ist nur... der erste Schritt. Du darfst nicht zulassen, dass..."
Dann war nur das Besetztzeichen im Hörer. Sie wählte die Nummer noch einmal, aber sie kam nicht mehr durch. Ihre Hand zitterte, als sie im Nachtkästchen kramte. Wahllos rief sie ein paar der Männer an, die sie in den letzten Wochen heimbegleitet hatten. "Die du gefickt hast, " lachte die Stimme.
Franz hob nicht ab. Angelo schrie ins Telephon, sie habe ihn mit irgendwas angesteckt, ihm tue sogar das Pissen weh, und sie sei eine Hure. Bastian... kein Anschluss unter dieser Nummer.
Ihr war eiskalt.
3. Akt
Sie hatte sich vom Badezimmer ferngehalten. Es war ihr manchmal erschienen wie ein Gewaltmarsch durch die glühende Wüste; dann wieder hatte sie Hoffnung gefasst, dass jemand kommen und sie erlösen würde; stundenlang war sie auf ihrem Bett gelegen und hatte den Tod gewünscht.
Die Stimme sprach immer zu ihr. Ihre Andeutungen waren oft vage und mystisch, und manchmal erging sie sich in minutenlangen obszönen Schilderungen. Nie aber sprach sie aus, was sie von Eva wollte.
Er lockte sie, versprach ihr ungeahnte, tiefgreifende Lust. Er drohte ihr mit seiner Macht, schlimmer als ein Feuerspektakel. "Ich habe schon ganz andere gefügig gemacht", sagte er einmal. "Lange, lange bevor irgendeiner deiner Vorfahren seinen mickrigen Schwanz in eine schmutzige Muschi getunkt hat, um eine dekadente Brut zum Leben zu wecken. Und was für ein langweiliges, erbärmliches Leben!"
"Wer bist du?" fragte sie laut in das leere Zimmer hinein. Sie erschrak, als sie es aussprach. Die Frage bedeutete, dass Eva der körperlosen Stimme Wirklichkeit gab, eine Existenz außerhalb ihrer Phantasie.
Die Stimme verstummte aber daraufhin für eine Weile.
Eva war unfähig, zu entscheiden. Sie bäumte sich auf, doch es war sinnlos. Sie war ausgeliefert, machtlos, und konnte nichts tun, als darauf zu warten, dass jemand sie befreite.
"Und dabei ist es so einfach", spottete die Stimme.
"Dann hilf mir, verdammt nochmal", dachte Eva, oder vielleicht sprach sie es aus - der Unterschied schien zu verschwimmen.
Die Stimme kicherte. "Es ist einfach, ganz einfach. Du musst nur tun, was du tun willst."
Wut - blinde Wut. Eva hatte genug von den Spielchen, genug von der Quälerei, genug von all dem. Sie würde dem ein Ende machen, was auch geschah. Sie würde das Ding jetzt töten, zerstückeln, und wenn es ihren Tod bedeutete.
"Oh, sie tut etwas", sagte die Stimme amüsiert. "Eva entschließt sich. Die heldenhafte Eva."
Sie ging in den Keller, wo das Werkzeug lag, und holte die Hacke. Entschlossen und ohne zu zögern, trat sie vor die Badezimmertür und öffnete sie.
"Tu mir nichts!" rief die Stimme entsetzt. "Ich bitte dich, tu mir nichts!" Eva hob die Hacke hoch über den Kopf. Die Stimme fing an, hysterisch zu kichern.
Eva stand wie gelähmt. Der riesige Schwanz schien sie aus seinem einen Auge anzustarren. Er bewegte sich leicht hin und her, als wollte er sie bitten... oder war es nur Ungeduld?
Ihre Arme begannen zu schmerzen. Sie versuchte sich dazu zu bringen, die Hacke auf das Ding herunterzubringen, aber ihre Arme gehorchten ihr nicht. Mit einem hilflosen Aufschrei ließ sie die Waffe sinken.
"Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich das zulassen würde?" sagte die Stimme, beinahe gütig. "Es ist nicht das, was du willst. Nicht wirklich."
Sie stand und horchte, eine Wahnsinnige, in einem Alptraum befangen. Sie glaubte zu erkennen, worauf das hinauslief. Aber sie würde nicht... sie würde nicht...
"Doch", sagte die Stimme und gähnte lange und müde. "Und jetzt wirst du mich ein bisschen verwöhnen."
Sie holte das Massageöl und kniete vor dem Schwanz nieder. Sie konnte sofort die Entspannung fühlen, die Ruhe, die in sie einzog. Es war besser so. Es war verrückt, es war widernatürlich - aber es war besser so.